Autorin - Medizinfrau - Ethnologin - Afrikanischer Schamanismus - Traditionelle afrikanische Medizin - Afrikanische Heilkunst - Seelenwissen

Blog Post

Afrikanische Heilkunst

  • von Shani Kangaga
  • 16 Juli, 2018

Mganga - die traditionelle Medizinperson bei den Mijikenda

In meinem Buch "Die Schlangenfrau" erzähle ich über mein Leben im afrikanischen Busch bei einem traditionellen Medizinbund der Mijikenda. Die wichtigste Bevölkerungsgruppe an der Küste von Kenia sind die Midjikenda - die „neun Stämme“. Sie sind heute vor allem im Kwale und Kilifi District angesiedelt. Es ist ein loser Zusammenschluss von neun Stämmen, die verschiedene stark abweichende Dialekte sprechen, sich jedoch untereinander problemlos verständigen können. Die einzelnen Gruppen heißen Giriama, Digo, Rabai, Ribe, Duruma, Chonyi, Jibana, Kauma und Kambe.

Der Ruf eine Medizinfrau zu werden war schon immer sehr stark in mir. Ich dachte früher als Teenager, dass eine Medizinfrau eine kraftvolle und in sich ruhende Frau ist, die Weisheit besitzt, die heilen und „sehen" kann. Manche junge Frauen träumen von ganz normalen weltlichen Dingen: Eine guten Job finden, auf Reisen gehen oder Party feiern, einen tollen Mann an seiner Seite haben und eine Familie gründen. Auch ich hatte ganz normale Wünsche und Sehnsüchte und viele weltliche Dinge habe ich mir im Laufe meines Lebens auch erfüllt. Aber mein größter Wunsch damals mit neunzehn Jahren war es, eine gute und weise Medizinfrau zu werden und mein Leben jeden Tag so wahrhaftig zu leben als wäre es mein letzter. Ich hatte natürlich keine Ahnung, was dies für mich bedeuten würde.

Im August 1996 zog ich nach Afrika. Ich hatte eine kleine Tasche gepackt und wanderte aus. Ich wußte nur, dass mein leiblicher Vater angeblich ein Medizinmann war und wollte ihn unbedingt finden und seine Schülerin werden. Es kam natürlich alles ganz anders. Die Suche nach meinem Vater blieb erfolglos, aber die Türen in ein traditionelles Leben im Busch gingen dennoch für mich auf. Ich traf auf eine Heilerin und Medizinfrau namens Mama Fatuma und sie nahm mich als ihre Schülerin auf. Mama Fatuma hatte schon Monate im Voraus auf meine Ankunft gewartet und auch ich hatte vor meiner Reise den starken Ruf meiner Ahnen wahrgenommen. Es war ein kompromissloser Aufruf meiner Ahnen, eine traditionelle Medizinfrau zu werden.

Das Wort der Midjikenda für eine weibliche oder männliche  Medizinperson ist Mganga (plural: Waganga) und ist ein sehr verallgemeinerter Begriff, der nicht die Vielfältigkeit der Aufgabenbereiche dieser Person beschreibt und verdeutlicht. Innerhalb des Stammes jedoch kennt jeder den Stand und die Fähigkeiten eines Mganga und kann so entscheiden, an wen sich eine kranke Person bei körperlich-geistigen Krankheiten sowie bei Krankheiten, die von Schadenzauberer induziert worden sind, wenden kann.

Ein Mganga geht in einen Trancezustand, um mit den Ahnen und Geistern in Kontakt zu treten. Dieser erweiterte Bewusstseinszustand füht u.a. zu hellseherischen und heilerischen Fähigkeiten. Die Spirits bzw. Ahnengeister kommen zu ihnen und heilen durch sie. Aber es gibt auch Waganga, die wie Schamanen in die geistige Welt reisen, um dort direkt mit den Kräften und Geistern zu arbeiten und so zu heilen. Die Ahnengeister stellen die Vermittler zwischen der irdischen und geistigen Welt dar und sind nicht nur die direkten verstorbenen Familienmitglieder. Vielmehr wird der Ahnenbegriff erweitert und umschließt ein animistisches Weltbild, welches die Vorstellung impliziert, dass jegliches Objekt in der Natur eine Seele bzw. einen innewohnenden Geist besitzt. Ahnen lassen sich in den Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde, in der Natur, Tierwelt, Menschenwelt als auch im Kosmos finden. Das Reich der Ahnen ist somit unendlich groß.

Eine Person wird gerufen, um ein Mganga zu werden. Häufig drückt sich dieser Ruf in Form einer psychischen oder physischen Erkrankung aus und zwingt die berufene Person zu handeln. Diese muss durch eine Initiation gehen, um ein Mganga zu werden. Für Männer und Frauen gibt es unterschiedliche Medizin- bzw. Einweihungspfade bei den Mijikenda, aber für beide gilt, dass die Schüler durch Zeremonien und Rituale auf der geistigen, emotionalen und körperlichen Ebene erneuert und gereinigt werden.

Die Zeit der Einweihung in die Geheimnisse der traditionellen Heilkunst oder auch Magie wird durch tiefgreifende Prozesse begleitet. Dazu braucht es erfahrene Waganga - Lehrer, die ihren Schülern auf ihren Pfaden begleiten. Die Lehrer geben den Schülern den Raum und gleichzeitig einen geschützten Rahmen, damit die Lehrlinge ihre eigenen Erfahrungen machen können. Wichtig ist hierbei, dass die Lehrlinge eine starke Bindung zu ihren Ahnen finden und mit den Ahnengeistern zusammen arbeiten, die sie heimgesucht haben. Denn falls die Ahnengeister nicht in einer gewissen Form kontrolliert werden, können sie den Schülern schaden. Die Schüler müssen deshalb lernen, wie sie mit den Kräften umgehen können. Sie müssen erfahren, welche ihrer Ahnen der Stärkste ist und mit diesem zusammen arbeiten. Je machtvoller der Ahne, desto machtvoller wird die Medizin des Mgangas sein. Der Ahne fungiert dann als Wegweiser, als Lehrer und Helfer, schickt der zukünftigen Medizinperson starke Träume und zeigt ihr, wie sie Menschen heilen kann.

Während der Initiationszeit lernen die angehenden Wagangas, wie sie Rituale und Zeremonien gestalten, welche Pflanzen sie gebrauchen können und wie sie diese zubereiten müssen. Die Heilpflanzen werden meist verbrannt und mit Öl oder Honig vermischt oder zu einem trockenen Pulver verrieben. Manchmal werden sie auch frisch geerntet und mit Wasser zu einem Sud verarbeitet oder als Badezusatz verwendet. Normalerweise stellt eine Medizinperson ihre Medizin selbst her, aber es gibt auch spezielle Märkte, die ein großes Angebot an Heilpflanzen und traditioneller Medizin haben.

Am Ende der Initiationszeit müssen sich die Schüler einer Prüfung stellen. Sie werden von erfahrenen Wagangas und von den Ahnen geprüft, ob sie auch wirklich mit den Kräften umgehen können. Dies bedeutet aber nicht, dass die Lehrzeit eines Mgangas zu Ende ist. Eine Medizinperson wird ihr ganzes Leben lang lernen und die unterschiedlichsten Prüfungen bewältigen müssen. Es ist wie eine Beziehung: der Mganga ist mit seiner Medizin verheiratet und muss immer wieder durch verschiedenste Entwicklungen hindurch schreiten, um sein volles Potential leben zu können. Jede Medizinperson wird anders arbeiten und auch wenn die Zeremonien sich ähneln, so hat jeder seine eigene individuelle Art und seine eigene Medizin.

Share by: