Jenseits der Revolution

  • von Shani Kangaga
  • 04 Mai, 2025

Erinnerung als dekolonialer Akt

Eine spirituelle Revolution, die dekolonisiert ist, würde tiefgreifend anders aussehen als die Glaubenssysteme, die von kolonialen, imperialistischen oder westlich-zentrierten Weltbildern geprägt sind. Sie würde sich durch bestimmte Schlüsselelemente und Prinzipien auszeichnen, die ich hier nur skizzenhaft aufzeichne.

Dieses Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile und wird auch Teil meines neuen Buchprojekts sein.

Ich habe mir die Frage gestellt, wie unsere Spiritualität hier im Westen - wie unsere Verbindung zu den Ahnen - aussehen würde , wenn sie nicht durch ein eurozentrisches, koloniales und imperialistisches System geprägt ist? Ein System, das nicht vereinnahmt, nicht vermarktet und nicht universalisiert.

Dieser Beitrag ist ein Versuch, eine Antwort zu finden – inspiriert von viele indigenen Widerständen wie zum Beispiel die Zapatista in Mexiko oder die Mapuche in Chile und Argentinien, dekolonialem Denken und verkörperter Heilung durch kollektive Traumaarbeit.

1. Erinnerung als Widerstand.
Kolonialismus hat nicht nur Körper versklavt, sondern auch Weltbilder unterworfen.
Dekolonisierte Spiritualität ist ein Akt des Erinnerns – an Rituale und Beziehungen, die zerstört, verdrängt, verboten oder gar dämonisiert wurden. Spirituelle Traditionen der kolonisierten Ethnien sollen wieder ins Zentrum rücken - aber auf eine Weise, die ihre eigene Geschichte und Weltsicht ehrt, ohne sie für exotische Konsumzwecke zu vereinnahmen. Es ist eine Praxis, die mit der Rückkehr zu den Wurzeln beginnt.

2. Vielfalt statt Monokultur.
Ein dekolonisiertes Mindset erkennt viele Wahrheiten und viele Wege an. Die Frage lautet nicht „was ist richtig“, sondern „was ist verbunden?“. Eine dekolonisierte spirituelle Revolution würde Vielfalt betonen: viele Möglichkeiten, mit der Erde, mit dem Selbst und mit der Gemeinschaft in Beziehung zu stehen - nebeneinander existierend und gleichwertig.

3. Heilung vom kolonialen Trauma.
Koloniale Strukturen trennen den Geist vom Körper. Unser Körper, der Tempel ist und unsere Erinnerungen speichert.
In vielen indigenen Kosmologien lebt das Wissen im Blut und in den Knochen, im Atem, in der Bewegung, IM KÖRPER.
Es braucht mehr Praktiken, die sich auf eine kollektive Heilung konzentrieren - nicht nur individuell, sondern auch historisch und gesellschaftlich. Das bedeutet auch das Anerkennen und Bearbeiten der Verletzungen durch Kolonialismus, Rassismus und kulturelle Auslöschung.

4. Widerstand.
Viele indigene spirituelle Traditionen sind tief mit der Erde und den Ahnen und dem mehr-als-menschlichen Leben verbunden. Eine dekolonisierte Weltsicht würde ökologische Verantwortung ins Zentrum stellen, nicht als Trend, sondern als Lebensgrundlage. Es wäre ein Widerstand gegen extraktiven Kapitalismus, gegen Landraub und dem Verlust von Sprache und Gesang.

5. Keine Spiritualität ohne Kontext - Konsumierende Spiritualität.
Die spirituelle Aneignung heiliger Praktiken entleert sie ihrer Bedeutung, wenn sie aus ihrem Kontext gerissen werden. Dekolonialität verlangt radikale Selbstreflexion: Welche Praktiken gehören mir – und welche nicht? Wem dient meine „spirituelle Suche“ – und wer zahlt den Preis dafür? Wahre Verbindung beginnt mit Respekt – und mit Unwissenheit, die zuhört.

6. Die Erde als Verwandte.

In einer dekolonialen Kosmovision ist die Erde kein Objekt, sondern ein lebendiges Subjekt. In der indigenen Kosmologie der Mijikenda z.B. tragen die Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde einen Geist, genauso wie alle Tiere und Pflanzen. Die Natur nährt nicht nur - sie spricht.

7. Dekolonisierte Heilung
entsteht im Kreis, im Kollektiv, in der Gemeinschaft, in der Beziehung. Sie verlangt nach Verantwortung und will durch inneren Frieden und Balance genährt werden und entsteht nicht durch Konsum, sondern im Teilen und Pflegen.

Dies ist keine Rückkehr zu einem verlorenen Ursprung. Es ist ein radikales und aktives Erinnern inmitten von Brüchen. Ein kollektives Atmen und Erinnern gegen das Vergessen. Eine spirituelle Praxis, die verkörpert, verwoben und zutiefst politisch ist. Jenseits der Revolution beginnt die Rückverbindung. 


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